Bislang ist im Immobilienboom in Deutschland zu wenig bezahlbarer Wohnraum entstanden. Jetzt aber glauben einige an eine Wende, vermutlich zu früh.
Es herrscht Immobilienboom in Deutschland, gleichzeitig wird bezahlbarer Wohnraum immer mehr zur Mangelware und damit zum politischen Streitthema – wie passt das zusammen? Einer der es wissen müsste ist Nils Olov Boback, bis 2018 Vorsitzender der Geschäftsführung vom Projektentwickler Bonava Deutschland. Bonava ist spezialisiert auf bezahlbaren Wohnraum. „Für eine Firma wie Bonava, die ihren Fokus auf bezahlbarem Wohnraum hat, ist ein normaler Markt eigentlich besser. Es ist im Zuge des aktuellen Immobilienbooms schwer, Grundstücke zu finden, die überhaupt bezahlbare Projekte ermöglichen“, sagt Boback.
Bonava ist seit einigen Jahren der flächenmäßig größte Projektentwickler in den deutschen Metropolen, mit einem klaren Fokus auf bezahlbarem Wohnraum: „Jeder weiß, dass insgesamt zu wenig Wohnraum in Deutschland vorhanden ist. Wir setzen ganz konsequent darauf, dass wir im bezahlbaren Segment unterwegs sind“, sagt Sabine Helterhoff. Sie ist heutige Vorsitzende der Bonava-Geschäftsführung.
Der Trend in der Branche zeigt in eine andere Richtung: „Momentan gibt es durch den Immobilienboom kaum Anreize, in das Segment bezahlbarer Wohnraum zu gehen – es verkauft sich ja eh alles, was gebaut wird. Egal wie teuer“, sagt Boback. Weil mit hochpreisigem Wohnraum höhere Gewinne drin sind, entscheiden sich Investoren im Zweifelsfall eher dafür. Doch dieser Zusammenhang funktioniert auch entgegengesetzt: In diesen Zeiten, wo einige den Immobilienboom durch die Coronakrise bedroht sehen, sehen manche steigende Chancen auf mehr bezahlbaren Wohnraum. Ist da was dran?
Warum ist Wohnraum so teuer?
Eine klare Definition von bezahlbarem Wohnraum gibt es nicht. Die EU spricht von einer Überbelastung, wenn Haushalte 40 Prozent und mehr ihres verfügbaren Einkommens für Miete und Mietnebenkosten aufwenden müssen.
Nehmen wir als Beispiel München: Hier liegt das verfügbare Einkommen im Schnitt bei 2.182 Euro pro Monat, 40 Prozent sind etwa 873 Euro. Die Durchschnittsmiete für eine 30 Quadratmeter-Wohnung liegt jedoch bereits bei 876 Euro. Bezahlbarer Wohnraum? Fehlanzeige.
Wohnraum in Deutschland ist vor allem dort teuer, wo zu wenig davon vorhanden ist. Laut der Studie „Wohnungsbedarfsmodell“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) müssen bis 2030 341.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden, um den Bedarf auf dem Wohnungsmarkt zu decken. Zwischen 2015 und 2018 wurden nur rund 80 Prozent davon errichtet.
Dazu kommt: In strukturschwachen und ländlichen Regionen wird sogar zu viel gebaut. In 69 der 401 kreisfreien Städte und Landkreise Deutschlands waren es in diesem Zeitraum über 50 Prozent mehr Wohnungen als benötigt. Das schönt das Bild. In Ballungszentren, Großstädten und kleineren Universitätsstädten hingegen wird viel zu wenig gebaut. Alleine 63.000 Wohnungen pro Jahr bräuchte es laut der Studie in den sieben größten Städten Berlin, Hamburg, München, Köln, Stuttgart, Frankfurt am Main und Düsseldorf. In Stuttgart sind zwischen 2015 und 2018 nur 56 Prozent der benötigten Wohnungen errichtet worden, in Köln sogar nur 46 Prozent. Hamburg und Düsseldorf kommen immerhin auf 86 Prozent.
Dort explodieren die Preise für Wohnraum. In Berlin sind die Marktmieten in drei Jahren um 11,5 Prozent, in München sogar fast um 20 Prozent gestiegen. In Hamburg, wo deutlich mehr gebaut wurde, dagegen nur um drei Prozent. Die Autoren der IW-Studie schließen daher: Für eine Entlastung des Marktes muss mehr gebaut werden.
Ist der Immobilienboom schuld?
Mehr bauen – das ist leichter gesagt als getan. „Flächendeckend sind die Grundstückspreise in den Metropolen um rund 250 Prozent seit 2000 gestiegen, in Städten wie München auch noch stärker. Dann schafft man es natürlich kaum, unter 3000 Euro pro Quadratmeter zu bauen und entsprechend preiswert zu vermieten“, sagt Ralph Henger, Immobilienökonom am IW Köln und verantwortlich für das Wohnungsbedarfsmodell. Das liegt vor allem an der aktuellen Niedrigzinsphase, die zum Bau vieler Eigentumswohnungen und damit zum Anstieg der Grundstückspreise geführt hat. Dazu kommen noch zwei weitere Kostenfaktoren: „Material- und Lohnkosten für die Errichtung von Gebäuden sind seit 2000 um gut 40 Prozent gestiegen, die Kosten zur Erfüllung energetischer Standards im selben Zeitraum um rund 20 Prozent.“ Vor allem in den Großstädten stehen zudem keine Flächen zur Verfügung oder man kann sie nur schwer erschließen.
Bonava-Chefin Helterhoff sieht noch weitere Gründe für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum: „Immobilienboom bedeutet auch, dass es an der einen oder anderen Stelle Kapazitätsprobleme gibt. Behörden suchen dieselben Mitarbeiter wie wir und unsere Konkurrenten.“ Durch den Personalmangel in der Bauwirtschaft dauert es länger, Projekte fertigzustellen. Von den seit 2010 genehmigten Wohnungen wurden laut IW-Wohnungsbedarfsmodell 353.000 bis 2018 nicht fertig gestellt – jedes Jahr kommen 45.000 dazu. Auf der anderen Seite fehlen auch Leute bei den Kommunen, die viele Aufgaben haben: das Mobilisieren unbebauter Grundstücke, die Ausweisung neuen Baulands, Geld in die Hand nehmen für den Zwischenerwerb von Flächen und die Vergabe von Baugenehmigungen. „Die haben in den letzten zehn Jahren ihre Zahlungs- und Genehmigungskapazitäten enorm heruntergefahren, weil kaum Nachfrage da war. Das zu ändern ist aufwendig, kostet Geld und da müssen die Kommunen finanziell unterstützt werden“, sagt Henger.
Der Immobilienboom setzt zudem eher Anreize für Investoren und Projektentwickler, im höherpreisigen Segment aktiv zu sein. „In einem guten Markt, wie wir ihn gerade in Deutschland haben, lässt sich alles verkaufen. Wenn man ein Grundstück hat, ist man dann natürlich eher geneigt, teure Häuser oder Eigentums- statt Mietwohnungen zu bauen. Um mehr zu verdienen,“ sagt der frühere Bonava-Chef Boback. Laut Andre Adami, Bereichsleiter Wohnen beim Analyseunternehmen Bulwiengesa, liegen die Margen beim freifinanzierten Wohnungsbau für Projektentwickler in der Regel zwischen 10 und 25 Prozent. Je teurer das Gebäude, desto höher der Gewinn.
Quelle: WirtschaftsWoche