Mietspiegel sollen transparenter und vor allem rechtssicherer werden. Der Gesetzgeber will Mieter und Vermieter dazu verpflichten, Daten zu liefern.
Frankfurt. Nach langem Stillstand geht es bei der Mietspiegelreform voran. Am Mittwochabend verschickte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) einen Referentenentwurf an die Verbände und Fachkreise, die ihrerseits nun bis 30. Oktober Zeit haben, den Entwurf zu kommentieren.
Zuvor schien es so, als würde das Reformvorhaben im Sande verlaufen. Bereits 2016 existierte ein Referentenentwurf, der zwar den Weg in die Fachöffentlichkeit gefunden hatte, aber nicht zur Verbändeanhörung verschickt wurde. Der zweite Anlauf sollte bis Ende 2019 genommen werden, verzögerte sich aber aus unbestimmten Gründen. Auch der nun offiziell verschickte Entwurf ist nicht mehr ganz taufrisch: Er ist datiert auf den 27. Februar dieses Jahres. In Fachkreisen wurde er bereits totgesagt. Doch es kam anders.
Für Experten wie Steffen Sebastian ein längst überfälliger Schritt. Sebastian ist hauptberuflich Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität Regensburg. Nebenbei ist er auch Vorsitzender der gif-Mietspiegelkommission und bemängelt seit Jahren die schlechte Qualität der Mietspiegel. „Es gibt viele gute und auch sehr gute Mietspiegel, aber leider auch einige, die methodisch sehr schwach sind.“
Für den gif-Mietspiegelreport 2020 hat sich Sebastian die Mietspiegel in den 200 größten deutschen Städten genauer angeschaut. „Nur für sehr wenige Mietspiegel konnten wir Erhebung, Auswertung und Wohnlagenermittlung vollständig nachvollziehen“, lautet sein Fazit. Häufig mangele es zudem an einer zureichenden Datengrundlage. Hinzu kommt, dass es in vielen Großstädten gar keinen Mietspiegel gibt.
Anhand von Mietspiegeln lässt sich die ortsübliche Vergleichsmiete in einer Stadt oder Gemeinde bestimmen. Diese ist wiederum die rechtliche Grundlage für Mieterhöhungsverlangen. Insbesondere seit der Einführung der Mietpreisbremse kommt der ortsüblichen Vergleichsmiete und damit den Mietspiegeln eine besondere Bedeutung zu. Diese können in zwei Varianten erstellt werden: als einfacher oder als qualifizierter Mietspiegel. Letztere müssen nach „anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen“ angefertigt werden.
Anfällig für Rechtsstreitigkeiten
Die schlechte Qualität vieler Mietspiegel stieß in der Vergangenheit regelmäßig auf Kritik und war Anlass für juristische Auseinandersetzungen. Streitpunkt war häufig die Frage, ob die Mietspiegel nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurden und damit als qualifiziert gelten. Um die Rechtssicherheit der Mietspiegel zu erhöhen, sollen diese künftig nur noch nach „wissenschaftlichen Grundsätzen“ erstellt werden. Was darunter zu verstehen ist, wird in einer Mietspiegelverordnung konkretisiert.
„Wir fordern von unseren Städten, dass wir hier besser werden müssen. Wir brauchen gute Mietspiegel, die sattelfest sind und auf nachvollziehbaren statistischen Grundlagen beruhen“, sagt Hilmar von Lojewski, Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag. Die vorgesehene Mietspiegelreform werde helfen, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen.
Auch Steffen Sebastian erkennt in dem Referentenentwurf gute Ansätze. So will der Gesetzgeber Mieter und Vermieter künftig verpflichten, bei der Befragung zu ihren Miet- und Wohnverhältnissen Auskünfte zu erteilen. „Das wird die Mietspiegel deutlich besser machen“, unterstreicht Sebastian. Zur Verbesserung der Datengrundlage soll nach dem Willen des Gesetzgebers ebenfalls beitragen, dass die Mietspiegelersteller auf andere Daten zugreifen dürfen, zum Beispiel von Melderegistern.
Kostenfreie Verfügbarkeit
Als eine „sinnvolle“ Neuerung lobt Sebastian, dass beabsichtigt wird, die Mietspiegel kostenfrei im Internet zur Verfügung zu stellen. Eine Veröffentlichungspflicht gibt es bislang nicht. Viele Kommunen geben die Mietspiegel bisher nur gegen eine Gebühr heraus.
Für mehr Mieterschutz wird nach Ansicht des Fachmanns sorgen, dass Vermieter Mieterhöhungen nicht mehr mit drei Vergleichswohnungen begründen dürfen – sofern ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist. „Das ist ein guter Grund für die Gemeinden, einen qualifizierten Mietspiegel zu erstellen.“
Daran findet auch der Deutsche Mieterbund (DMB) Gefallen. „In der Vergangenheit wurde oft das Begründungsmittel der Vergleichswohnungen gewählt, um die tatsächliche ortsübliche Vergleichsmiete zu verschleiern. So zahlten die Mieterinnen und Mieter ihrem Vermieter mehr Miete, als ihm rechtlich eigentlich zustand“, erklärt DMB-Präsident Lukas Siebenkotten.
Kritik von Verbänden
Darüber hinaus wird der Bindungszeitraum der Mietspiegel von zwei auf drei Jahre verlängert. Nach fünf anstatt bisher vier Jahren muss die Stadt oder Gemeinde einen neuen Mietspiegel aufstellen. Das stößt auf Kritik bei Immobilienverbänden.
Neben der bereits beschlossenen Verlängerung des Betrachtungszeitraums von vier auf sechs Jahre würden sich dadurch erneut die Mietpreise von der allgemeinen Marktentwicklung abkoppeln, befürchtet der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). „Das hätte negative Auswirkungen auf die Beleihung und damit auch auf den Wohnungsneubau“, sagt GdW-Präsident Axel Gedaschko. Fakt sei: „Der Mietspiegel ist ein Instrument zum Abbilden der Realität und kein Marktbeeinflussungsinstrument.“
Ähnlich argumentiert Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses. Durch eine Verlängerung des Bindungszeitraums von zwei auf drei Jahre würden mehr „alte“ Mieten einbezogen, wodurch die Stichtagsgenauigkeit nachlasse. „Der Mietspiegel sollte kein Blick in die Vergangenheit sein“, fordert Mattner.
Der DMB bemängelt, dass nach wie vor keine Pflicht zur Erstellung von Mietspiegeln für alle Städte ab 50.000 Einwohner existiere. „Dies wäre jedoch dringend erforderlich, denn ohne einen aussagekräftigen Mietspiegel fehlt in der Kommune die Grundlage für die Anwendung der Mietpreisbremse. Das heißt, dass sie ohne Mietspiegel für diese Städte de facto ins Leere läuft“, sagt Siebenkotten.
Insgesamt findet Experte Sebastian lobende Worte für die geplante Mietspiegelreform, wodurch die Mietspiegel rechtssicherer, besser und billiger in der Erstellung sowie leichter zugänglich würden. „Vor allen Dingen werden sie aber gerechter“, betont er.
Mietspiegel brauchen einen Qualitätscheck
Um die Qualität zu steigern, hätte sich der Irebs-Professor aber weiter gehende Anpassungen gewünscht. „Wir brauchen kompetente und vor allem unabhängige Ersteller von Mietspiegeln.“ Sebastian fordert deshalb einen Qualitätsnachweis. Statistikkenntnisse reichten dafür nicht aus. Gefragt seien zusätzlich etwa solide rechtliche und wohnwirtschaftliche Kenntnisse sowie Erfahrungen im Umgang mit Geoinformationssystemen und in der empirischen Sozialforschung. Lediglich auf langjährige Expertise in der Mietspiegelerstellung zu verweisen ist seiner Ansicht nach kein Qualitätsmerkmal: „Bei vielen Mietspiegeln wird eine einmal gewählte Konzeption nicht mehr geändert und so Fehler über Jahrzehnte vererbt. Eine derartige Historie kann keine Qualifikation ersetzen.“
Sebastian hofft, dass an dieser Stelle noch nachgeschärft wird. Falls dies nicht geschehe, hätte er schon eine alternative Idee parat: eine Art Mietspiegel-TÜV. „Wenn alle wissen, dass da nochmals ein Unabhängiger draufschaut und Sollbruchstellen überprüft, dann sorgt dies dafür, dass der Mietspiegel transparent aufbereitet und methodisch korrekt berechnet wird“, erläutert er.
Die Rolle des TÜV-Zertifizierers könnte seiner Meinung nach eine bundesweit einheitliche Organisation wie zum Beispiel der Verband Deutscher Städtestatistiker oder eine vergleichbare unabhängige Institution wie das Statistische Bundesamt einnehmen.
Die Kosten dafür hielten sich in Grenzen, meint Sebastian. Schließlich sei eine Prüfung weniger umfangreich als die Erstellung. „Die Mietspiegel werden dadurch vielleicht zwei Prozent teurer, aber 2000 Mal besser.“
Quelle: Handelsblatt