Der Immobilienboom macht Reiche reicher und Arme ärmer. Das liegt nicht an den niedrigen Zinsen, sagen Ökonomen, sondern daran, dass zu wenig gebaut wird.
Es kommt nicht so ganz oft vor, dass deutsche Volkswirte ein Arbeitspapier mit Friedrich Engels beginnen. Der Bonner Ökonom Moritz Schularick und seine Kollegen Till Baldenius und Sebastian Kohl zitieren Engels’ Schriften „Zur Wohnungsfrage“ aus dem 19. Jahrhundert, um ihre aktuelle Studie „Die neue Wohnungsfrage“ gleichsam mit einer historischen Parallele zu beginnen. Schließlich gab es damals wie heute einen starken Drang der Bevölkerung in die Städte, die Mieten stiegen „kolossal“.
Die Wissenschaftler untersuchten nun, welche Verteilungswirkungen der Immobilienboom der vergangenen Jahre in Deutschland gehabt hat. Sie wollen das ausdrücklich nicht als eine Debatte über mögliche Verteilungswirkungen der Geldpolitik verstanden wissen: „Die steigenden Mieten zeigen, dass es jenseits von spekulativen Übertreibungen am Immobilienmarkt einen klaren Mangel an Wohnraum gibt“, schreiben die Autoren: „Daran ist nicht das niedrige Zinsumfeld Schuld, sondern die über viele Jahre zu niedrige Bautätigkeit.“ Insbesondere die öffentliche Hand versäume es seit einem Jahrzehnt, die günstigen Finanzierungsbedingungen an den Kapitalmärkten für höhere Investitionen im Wohnungsbau auszunutzen.
Viele Deutsche wohnen zur Miete
Die Hauspreise sind der Studie zufolge in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als in den meisten anderen Ländern. Und auch bei den Verteilungswirkungen gibt es hierzulande Besonderheiten, weil in Deutschland ungewöhnlich wenige Menschen ein eigenes Haus haben und viele zur Miete wohnen. Während gerade die ärmeren Menschen unter den höheren Mieten leiden, weil die Mieten in den entsprechenden Stadtvierteln gestiegen sind, landete der Großteil des Vermögenszuwachses bei den zehn Prozent der reichsten Deutschen.
Nach Berechnungen der Wissenschaftler auf der Grundlage der Immobilienpreise des Beratungsunternehmens Bulwiengesa sind die deutschen Hauseigentümer zwischen 2011 und 2018 allein durch Preissteigerungen nominal um bis zu 3,3 Billionen Euro und inflationsbereinigt um 2,8 Billionen Euro reicher geworden. Dies entspreche in etwa dem deutschen Bruttoinlandsprodukts eines Jahres und übersteige die gesamte deutsche Staatsverschuldung (von rund zwei Billionen Euro) um 1000 Milliarden Euro.
Gewinne für die oberen 10 Prozent
Dieser Zuwachs aber sei höchst ungleich verteilt. Die reichsten 10 Prozent der Deutschen seien durch die Preissteigerungen inflationsbereinigt um rund 1,5 Billionen Euro reicher geworden. Diese hohen Gewinne der obersten zehn Prozent erklärten sich zum Teil damit, dass Immobilienvermögen in Deutschland aufgrund der relativ geringen Eigentumsquoten an der Spitze der Verteilung konzentriert sei.‘
Auch Haushalte der oberen Mittelschicht hätten noch profitiert. Wohingegen die unteren 50 Prozent kaum Wohneigentum hätten: „Haushalte in den unteren 50 Prozent der Vermögensverteilung haben daher so gut wie keine Kapitalgewinne erzielt“, schreiben die Autoren. Der deutsche Immobilienboom habe „die Reichen reicher gemacht“.
Die Vermögensgewinne seien zudem regional ungleich verteilt; reiche Regionen hatten überdurchschnittliche Preissteigerungen und damit die stärksten Zuwächse im Immobilienvermögen erfahren. Mehr als die Hälfte der gesamten Vermögensgewinne entfielen auf die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg.
Quelle: F.A.Z.