Do, 19.11.2020
„Sogar im weiter entfernten Umland steigt die Nachfrage“

Bundesweit beobachten Makler das zunehmende Bedürfnis, „im Grünen zu leben“, erklärt IVD-Präsident Jürgen Michael Schick. Das Thema Homeoffice hält er allerdings für überbewertet. Ab Dezember können manche Käufer auf sinkende Provisionen hoffen.

Die Nachfrage nach Wohneigentum ist in diesem Jahr noch einmal gestiegen – trotz oder sogar wegen der Pandemie. Makler und Marktexperten beobachten dabei einen verstärkten Trend ins Umland der Städte und Ballungszentren. Viele Kaufinteressenten hätten festgestellt, „dass sie lieber im Grünen leben würden“, sagt Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienbranchenverbands IVD, in dem viele Makler organisiert sind. Schick, selbst Vermittler in Berlin, rechnet mit weiter steigenden Preisen im Stadtrand.

Für Schick und seine Berufskollegen wird sich zum Jahresende noch viel ändern. Am 23. Dezember tritt ein neues Gesetz in Kraft, wonach ein Makler vom Käufer nicht mehr Provision verlangen darf als vom Verkäufer.

WELT: Herr Schick, die Kontaktverbote sind wieder strenger geworden. Ist in Zeiten wie diesen ein normaler Immobilienverkauf mit Besichtigungen vor Ort überhaupt noch möglich?

Jürgen Michael Schick: Die Berufsausübung ist ja zum Glück nicht eingeschränkt, auch weiterhin sind Besichtigungen möglich. Natürlich unter Einhaltung der Vorschriften, mit Mund-Nasen-Schutz, Abstand und Niesetikette. Und wir achten darauf, dass nicht zu viele Menschen in einem Haus oder einer Wohnung sind. Insgesamt haben Makler gut zu tun, denn die Immobiliennachfrage ist im Zuge der Pandemie noch einmal gestiegen.

WELT: Wäre es nicht besser, Besichtigungen per 360-Grad-Visualisierung durchzuführen, oder auch live, per Videochat?

Schick: Digital aufbereitete Darstellungen sind vor allem eine gute Vorbereitung für eine Livebesichtigung. Wer den Vor-Ort-Termin am Ende bucht, bringt also schon ein ernsthaftes Interesse mit. Digitale Touren oder 360-Grad-Tools machen das Kennenlernen einer Immobilie insofern effizienter. Aber sie können die Besichtigung nicht ersetzen. Ich rate weiterhin jedem, der sich ernsthaft für eine Immobilie interessiert, diese auch persönlich in Augenschein zu nehmen. Man muss das Objekt sehen, spüren und riechen.

WELT: Etliche Exposés für durchschnittliche Angebote in Onlineportalen sehen manchmal noch etwas dürftig aus. So richtig hilft das dann auch nicht, die Objekte vorzusortieren und dann im sprichwörtlichen Sinne auf Abstand zu bleiben.

Schick: Wir leben mittlerweile in einer sehr visualisierten Welt, und die Ansprüche sind gestiegen, das stimmt. Manche Makler bieten 360-Grad-Visualisierungen allerdings erst auf Anfrage an. Und ich sage natürlich auch: Online ist nur ein Teil des Marktes zu sehen, viele Angebote kommen im direkten Kundenkontakt zustande. Ob digital aufwendig gemachte Visualisierungen wirklich zielführend sind, hängt aber immer vom Einzelfall ab.

WELT: Was ändert sich generell durch die Pandemie am Markt?

Schick: Aus unseren bundesweit 6000 Mitgliedsunternehmen berichten sehr viele, dass immer mehr Menschen zu ihnen kommen und nach Wohneigentum suchen. Allerdings nicht mehr im Zentrum, sondern vor den Toren der Stadt. Im sogenannten Speckgürtel ist zurzeit ein sehr dynamisches Marktgeschehen zu beobachten. Mehr als 50 Prozent der Makler registrieren dort und sogar in weiter entfernten Umlandgemeinden eine deutlich gestiegene Nachfrage. Das hat eine Umfrage gezeigt, die wir gerade vor drei Wochen durchgeführt haben.

WELT: Der Zug aus der Stadt ist allerdings schon seit einigen Jahren zu beobachten.

Schick: In der Tat, die Umlandgemeinden rund um die Metropolen wachsen schon länger stärker als die Zentren. Das hat jetzt aber noch einmal zugenommen. Viele haben die beengte Situation im März in Erinnerung und festgestellt, dass sie lieber im Grünen leben würden.

WELT: Viel Angebot dürfte es im Umland auch nicht mehr geben. Kommen die jetzigen Neunachfrager nicht zu spät?

Schick: Nach wie vor ist das Angebot am Stadtrand größer als in den Zentren. Das sieht man nicht zuletzt am weiterhin vorhandenen Preisgefälle zwischen City und Umland. Insbesondere ist das rund um Berlin noch zu beobachten, hier stehen wir noch am Anfang dieses Nachholeffekts. In anderen Regionen etwa rund um Hamburg ist der Markt schon weiter gelaufen, die Preisabstände haben sich verringert.

WELT: Suchen die Leute eigentlich gezielt nach Wohnobjekten, in denen man ein Zimmer als Homeoffice nutzen kann – also immer ein Raum mehr als sonst?

Schick: Das Bedürfnis nach einem Zimmer fürs Homeoffice sehe ich in erster Linie in Medienberichten, weniger in der echten Nachfrage von den Kunden vor Ort. Natürlich ist es so, dass man beim Eigenheimkauf vor allem im Umland ohnehin mehr Fläche in Anspruch nehmen möchte. Aber das war schon immer so. Das zusätzliche Zimmer ist da nichts Neues. Das regelmäßige Arbeiten im Homeoffice ist hingegen längst nicht in so vielen Berufen möglich, wie es die Berichterstattung teilweise suggeriert.

Das ist ein bisschen eine hypertrophe Diskussion. Ich sehe das Homeoffice allenfalls als Ergänzung in einigen Berufszweigen, nicht als generelle neue Arbeitswelt. Die Büros hingegen werden in Zukunft anders genutzt als heute, intensiver als Kommunikationsort, weniger als hochverdichtete Schreibtischlandschaft wie bisher. Sie werden flexibler sein.

WELT: Für Immobilienmakler gilt ab dem 23. Dezember ein neues Gesetz, wonach vom Käufer nicht mehr Provision verlangt werden darf als vom Verkäufer. In vielen nachfragestarken Regionen müssen Käufer bis dato die gesamte Courtage von bis zu 7,14 Prozent des Kaufpreises zahlen. Was wird sich nun ändern?

Schick: Auch in der Vergangenheit gab es schon verschiedene Provisionsvereinbarungen, und manchmal hat auch in nachfragestarken Märkten der Verkäufer eine Innenprovision gezahlt. In Zukunft wird es nun insgesamt häufiger darauf hinauslaufen, dass man sich die Provision teilt. Verkäufer werden dann voraussichtlich noch stärker als bisher auf eine möglichst professionelle Vermittlung achten. Die Ansprüche könnten da also etwas steigen.

WELT: Wird die Provision von zusammengezählt 7,14 Prozent sinken?

Schick: Unterschiedlich. In nachfragestärkeren Märkten könnte das der Fall sein. Unter dem Strich aber hängt es doch vom Aufwand der Vermittlung ab.

WELT: In vielen Regionen war es nie üblich, dass Verkäufer eine Provision zahlen. Werden die nun genauer hinschauen, welche Leistung sie für ihr Geld bekommen?

Schick: Das wurde auch vorher schon gemacht, man überlässt den Verkauf einer teuren Immobilie schließlich keinem Anfänger. Aber jetzt könnte es sein, dass Verkäufer noch mehr auf Qualität achten werden. Das ist ja auch ganz gut so.

WELT: In gefragten Stadtlagen stehen die Käufer Schlange. Eine Immobilie zu verkaufen erscheint einfach. Warum sollten Verkäufer hier mehrere Zehntausend Euro Provision akzeptieren?

Schick: Wenn der Markt schon hohe Preislagen erreicht hat und der Verkäufer einen sehr ambitionierten Preis erzielen will, dann ist es erst recht aufwendig, eine Immobilie zu vermarkten. Da geht es nicht einfach um eine Objektverteilung, um eine schnelle Anzeige und ein, zwei Besichtigungen. Vielmehr muss der Vermittler dann noch genauer nach demjenigen suchen, dessen Bedürfnisse zu dem Objekt passen und der bereit ist, den besten Preis zu zahlen. Das ist nicht einfach. In hohen Preisregionen reden wir dann über Differenzen, die ein Mehrfaches der Provision ausmachen können.

WELT: Es gibt ja auch die andere Seite des Marktes, abgelegene Gegenden in Thüringen, im Weserbergland oder rund um den Harz. Was wird da passieren?

Schick: Da dürfte es weiterhin dabei bleiben, dass Verkäufer ihrerseits die volle Provision zahlen.

WELT: Gelegentlich wird die Befürchtung geäußert, in stark gefragten Regionen könnten Makler und Verkäufer eine Art Kickback vereinbaren – der Makler also die Provision des Verkäufers an diesen wieder zurückzahlen, nach der Transaktion.

Schick: Das wäre ein Wirtschaftsstraftatbestand, schlicht eine kriminelle Aktion. Damit würde der Immobilienmakler im Zweifel nicht nur die gesamte Provision, sondern auch seine Lizenz aufs Spiel setzen. Kickbacks darf und wird und soll es nicht geben, ich halte die Befürchtung für unbegründet.

Quelle: Welt