Mi, 12.09.2018
Reform der Grunderwerbsteuer sorgt für Streit in der Immobilienbranche

Private Immobilienkäufer zahlen hohe Grunderwerbsteuern. Großinvestoren drücken sich vielfach. Für sie könnte es teuer werden: Eine Reform soll mehr Gerechtigkeit herstellen.

DüsseldorfSanierte Altbauwohnung in Berlin, vermietet, Kaufpreis 499.000 Euro. So wurde vor wenigen Tagen ein Apartment mit dreieinhalb Zimmern auf der Website Immobilienscout24 angeboten.

Wenn es bei dem Preis bleibt, zahlt der Käufer dieser Wohnung im angesagten Kiez Prenzlauer Berg 29.940 Euro Grunderwerbsteuer an das hochverschuldete Land Berlin. Berlin verlangt sechs Prozent Grunderwerbsteuer und bleibt damit einen halben Prozentpunkt unter dem Spitzensatz, den zum Beispiel Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland, Nordrhein-Westfalen, verlangt.

Aber es geht auch anders. Im Oktober 2017 kauften Oxford Properties, zum Pensionsfonds der kanadischen Provinz Ontario gehörig, und die New Yorker Investmentgesellschaft Madison International Realty das Sony-Center in Berlin für rund 1,1 Milliarden Euro. Eigentlich hätten dem Land Berlin 66 Millionen Euro Grunderwerbsteuer zufließen müssen.

Doch es gab keinen Cent, denn die Investoren nutzten einen ganz legalen Trick: Sie kauften rein rechtlich betrachtet nicht das Gebäudeensemble am Potsdamer Platz, sondern Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin des Sony-Centers war. Weil keiner der beiden Eigentümer volle 95 Prozent erwirbt, muss auch keiner Grunderwerbsteuer bezahlen.

„Share Deal“ heißt eine solche Transaktion. Oft übernimmt dabei eine Investmentbank 5,1 Prozent der Anteile, damit der Hauptinvestor unter 95 Prozent bleibt.

„Es ist üblich, dass der Mehrheitseigentümer dem Käufer der Minderheitstranche statt einer Gewinnbeteiligung eine Garantiedividende zahlt“, erläutert Bernd Janssen, Senior-Analyst für Immobilienaktien bei Victoria-Partners, wie es in der Praxis läuft. Nach fünf Jahren darf der Mehrheitseigentümer den Minderheitsanteil steuerfrei zukaufen und wird so Alleinbesitzer.

Experten glauben, dass sich Share-Deal-Strukturen zur Vermeidung von Grunderwerbsteuern erst ab Kaufpreisen von etwa 100 Millionen Euro lohnen. Damit eignen sie sich für Großinvestoren wie Aktiengesellschaften, Immobilienfonds, Versicherer und Altersvorsorgeeinrichtungen. Für Privatleute wäre es dagegen viel zu aufwendig, eigens eine Firma zu gründen und einen Mitspieler für den Minderheitsanteil zu suchen – sie müssen die Steuer daher bezahlen.

Wichtige Einnahmequelle für Länder
Über den Anteil der Share Deals an den Umsätzen auf dem Immobilieninvestmentmarkt gibt es keine zuverlässigen Zahlen. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 20 und 40 Prozent. Im vergangenen Jahr wechselten in Deutschland Wohn- und Gewerbegebäude im Wert von rund 70 Milliarden Euro den Besitzer, wobei die Käufe unter fünf Millionen nicht mitgezählt sind.

Bekannt ist, was die Länder trotz Steuervermeidungsstrategien an Grunderwerbsteuern einnehmen. Nach sieben Monaten in diesem Jahr waren es gut acht Milliarden Euro. Für die Länder ist die Grunderwerbsteuer eine wichtige Einnahmequelle, über die sie allein und selbstständig verfügen können.

Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus & Grund, will, dass das Schlupfloch für Großinvestoren geschlossen wird: „Wir sehen eine große Gerechtigkeitslücke.“ Warnecke, der die Interessen privater Hausbesitzer vertritt, sieht nicht ein, dass es von der Rechtsposition des Käufers abhängen soll, ob Grunderwerbsteuer zu zahlen ist oder nicht.

Wenn die Schlupflöcher geschlossen würden, könnten die in den vergangenen Jahren kräftig erhöhten Grunderwerbsteuersätze wieder gekürzt werden, sagt er. In Berlin könnten sie auf drei Prozent halbiert werden. Er will das Thema beim Wohnungsgipfel am 21. September im Kanzleramt diskutieren. Da wird es auch darum gehen, dass die steigenden Grunderwerbsteuern mit dazu beitragen, Wohneigentum immer unerschwinglicher zu machen.

Die Steuerlücke soll auch nach einer von den Finanzministern der Bundesländer vorgeschlagenen Reform geschlossen werden. Die Neuregelung sieht vor, dass die Grunderwerbsteuer nur noch ausgehebelt werden kann, wenn der Maximalanteil auf unter 90 Prozent zurückgefahren wird. Dabei muss der Verkäufer zehn Jahre lang knapp über zehn Prozent halten.

Damit wird es schwieriger, Share Deals zur Steuervermeidung einzusetzen, weil sich keine Bank oder ein sonstiger befreundeter Investor als Käufer für den Minderheitsanteil einsetzen lässt.

Branchenlobbyisten lehnen den Entwurf ab und argumentieren sich bereits in Rage. Sie befürchten weitreichende, zum Teil auch unbeabsichtigte Folgen für viele Unternehmen. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), Sprachrohr für viele Branchenverbände und -unternehmen, sieht Deutschland in Bezug auf die Grunderwerbsteuer schon jetzt als kompliziertes Hochsteuerland.

Als Beleg führt der ZIA einen von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC durchgeführten Vergleich der Regeln in 18 Ländern Europas an. Uwe Stoschek, Leiter der weltweiten Steuergruppe von PwC, sagt: „Länder wie Spanien, Schweden, Norwegen, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg und Dänemark erheben überhaupt keine Grunderwerbsteuern auf Anteilstransfers oder Anteilsvereinigungen. In Frankreich und den Niederlanden gibt es ein wesentlich einfacheres System nur für echte Immobilienunternehmen, aber nicht auch für Anteile an Industrie-, Mittelstands-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen.“

Ganz anders in Deutschland. Stoschek argumentiert, dass hier bereits nach aktuellem Recht Grunderwerbsteuer auf das komplette Immobilienvermögen anfallen kann, wenn über fünf Jahre so viele Aktien gehandelt wurden, dass dies als Wechsel der Anteilseigner gilt. „So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt“, schimpft er. Umso mehr lehnt der ZIA die Verschärfung ab, die die Finanzministerkonferenz vorschlägt.

„Die geplante Neuregelung bringt eindeutig Nachteile für Immobilienverkäufer, denn sie schränkt die Veräußerungsmöglichkeiten ein“, sagt Experte Janssen. Denn künftig muss der Verkäufer zehn Jahre lang gut zehn Prozent der Objektgesellschaft behalten. Weil die neue Regelung unflexibler als die alte ist, wird sie nach Meinung der Experten teurer.

Trotzdem geht Janssen wie auch Georg von Wallis, Leiter der Praxisgruppe Steuerrecht und Partner in der Wirtschaftskanzlei Greenberg Traurig Germany, davon aus, dass die institutionellen Käufer sich vom geplanten neuen Recht nicht ausbremsen lassen: „Privatpersonen werden weiter Grunderwerbsteuer zahlen müssen. Die institutionellen Käufer werden einen Weg finden, sie zu vermeiden.“

Neue Lücken in den Steuergesetzen
Die Kritiker der vorgeschlagenen Reform führen noch ein weiteres Argument an. Anders als private Verkäufer, für die Veräußerungsgewinne aus Immobilien nach zehn Jahren steuerfrei sind, müssen Gesellschaften sie jederzeit versteuern. Deswegen finden es die Vertreter der Großen in der Branche nur gerecht, wenn sie bei der Grunderwerbsteuer entlastet werden.

Steuerlich gesehen gilt ohnehin noch eine Besonderheit. Wird eine Immobilie ganz normal direkt, in einem sogenannten Asset-Deal, verkauft, dann muss der Käufer sie zum Kaufpreis bilanzieren, und der Verkäufer muss die Differenz zwischen dem Preis und dem meist niedrigeren Buchwert als Gewinn versteuern.

Bei einem Share Deal läuft dagegen die bisherige Abschreibung weiter, weil die Immobilie selbst ja gar nicht verkauft wurde, sondern nur die Objektgesellschaft. Das heißt aber: Wurde eine Immobilie per Share Deal gekauft, dann steht sie meist mit sehr niedrigem Wert in der Bilanz, weil die Abschreibung beim Kauf weitergelaufen ist.

Würde sie dann als Asset-Deal verkauft, müsste in der Regel ein besonders hoher Buchgewinn versteuert werden, weil die Rechnung in dem Fall wieder neu beginnt. Daher gilt: Wer sich für Share Deals entschieden hat, kommt von dem Konzept meist nicht mehr los.

Was aber ist mit Privatanlegern, die über offene Immobilienfonds oder Immobilienaktiengesellschaften Grundvermögen gebildet haben? Bei den Fonds ist die Situation recht simpel: Die Fondsgesellschaften wählen in Deutschland nur sehr selten Share Deals statt Asset-Deals, berichten die beiden größten Anbieter Deka Immobilien und Union Investment Real Estate übereinstimmend.

Das liegt unter anderem daran, dass die Fonds aufgrund von Anlagevorschriften nur begrenzt Anteile an Gesellschaften halten dürfen. Weil sie in manchen anderen Ländern, etwa in Skandinavien, an den dort üblichen indirekten Käufen nicht vorbeikommen, bleibt für Share Deals in Deutschland meist nicht viel Spielraum übrig.

Deshalb sieht Deka Immobilien der möglichen Änderung des Grunderwerbsteuerrechts „gelassen“ entgegen. Bei Union Investment erwartet Geschäftsführer Martin J. Brühl durch die Neureglung entscheidend weniger Share Deals in Deutschland.

Aber das sieht er als Vorteil. „Weil Share Deals für Verkäufer an Attraktivität verlieren, erwarten wir für uns als klassischen Direktinvestor zukünftig für das Immobilien-Sourcing sogar einen relativen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen institutionellen Käufern.“

Anders ausgedrückt: Bis jetzt konnten große Wettbewerber für deutsche Gebäude höhere Preise bieten, weil sie anders als offene Immobilienfonds keine Grunderwerbsteuer zahlen mussten.

Verwirrend würde es, wenn das neue Recht auf börsennotierte Aktiengesellschaften angewandt würde. Die Immobiliengesellschaften unter ihnen sind in den vergangenen Jahren durch Übernahmen gewachsen, etwa der Wohnungsvermieter Vonovia, der Ende 2014 die Gagfah übernahm, oder im Gewerbesektor die TLG Immobilien, die im vergangenen Jahr die WCM schluckte.

Solche Übernahmen sind zwangsläufig Share Deals, weil eine AG die Aktien einer anderen kauft. Bisher ist das kein Problem. Hat der Käufer mehr als 95 Prozent der Aktien übernommen und drängt ganz legal die verbliebenen Minderheitsaktionäre raus, wird nach aktuellem Recht dadurch nicht automatisch Grunderwerbsteuer für das ganze Unternehmen ausgelöst.

Denn typischerweise haben die börsennotierten Gesellschaften Immobilien in Objektgesellschaften eingebracht. Erst wenn auf der Ebene dieser Objektgesellschaft die Quote von 95 Prozent erreicht ist, wird Grunderwerbsteuer fällig.

Eine Folge des neuen Rechts wäre aber, dass der Verkäufer einer Immobilie noch zehn Jahre bei ihrer Bewirtschaftung mitreden könnte, weil er aus steuerlichen Gründen ja gut zehn Prozent behalten müsste. Das würde den Gesellschaften überhaupt nicht passen, lässt der Steuerexperte einer börsennotierten Gesellschaft durchblicken.

Absurde Folgen für die Industrie
Noch mehr fürchtet er andere Konsequenzen der Reform, die nicht nur kurios sind, sondern für Aktionäre aller deutschen Gesellschaften auch teuer werden könnten: Wenn binnen zehn Jahren 90 Prozent aller Gesellschafter wechseln, würde eine Pflicht zur Grunderwerbsteuerzahlung ausgelöst.

Deshalb erwartet Experte von Wallis: „In jedem Fall werden die Unternehmen, die nur am Rande mit Immobilien zu tun haben, am meisten unter der Reform leiden.“ Er denkt dabei an Industriekonzerne wie Siemens, die auf eigenem Grund und Boden produzieren und deren Grundstücke Milliardenwerte erreichen können.

Von Wallis fragt sich, wie Gesellschaften, die ihre Aktionärswechsel letztendlich nicht steuern können, Vorsorge treffen sollen für das Risiko, Grunderwerbsteuer nachzahlen zu müssen. Ganz abgesehen davon, dass nur über einen immensen Aufwand Aktionärswechsel zu erfassen wären.

Um es auf die Spitze zu treiben: Wie würde erfasst, wenn ein Vermögensverwalter Aktien für börsengehandelte Fonds (ETFs) kauft? Weil das neue Recht seiner Meinung nach nicht praktikabel ist, sagt von Wallis: „Ich wäre nicht überrascht, wenn es dem Vorschlag der Finanzministerkonferenz genauso ergehen würde wie den Plänen für eine Finanztransaktionssteuer – und er im Sande verliefe.“

Kai Warnecke von Haus & Grund erwartet das Gegenteil, weil er in nahezu allen Parteien den Willen verspürt, gerechter zu besteuern. Er ist sich darüber im Klaren, dass das neue Recht nicht alle Schlupflöcher schließen wird, mahnt aber zugleich: „Wenn die Politik mit diesem Vorhaben scheitert, wäre das ein Kniefall vor den Investoren in der Immobilienwirtschaft.“

Quelle: Handelsblatt