Fr, 26.11.2021
EZB warnt vor riskantem Immobilienboom

Das Finanzsystem ist mit dem Comeback der Konjunktur nach dem Coronaknick wieder stabiler geworden. Doch die schnell wachsenden Häusermärkte in Europa bereiten der Europäischen Zentralbank Sorgen.

Die wirtschaftliche Erholung hat im Euroraum auch die Risiken für die Stabilität des Finanzsystems verringert. Davon geht die Europäische Zentralbank (EZB) in einem aktuellen Bericht aus. Viele kurzfristige, pandemiebedingte Risiken seien überwunden.

»Das Risiko hoher Ausfallraten bei Unternehmen und Verlusten bei Banken ist heute deutlich geringer als noch vor sechs Monaten«, sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos anlässlich der Veröffentlichung des halbjährlichen Berichts der Notenbank in Frankfurt. »Die von der Pandemie ausgehenden Risiken sind jedoch nicht völlig verschwunden.« Spannungen in den globalen Lieferketten sowie der jüngste Anstieg der Energiepreise bremsten den Aufschwung. Staaten stehen zudem vor der Herausforderung, ihre in der Krise angehäuften Schulden zu tilgen.

Insbesondere am Häusermarkt drohten weiter Gefahren. Das Risiko von Preiskorrekturen habe in Ländern zugenommen, in denen die Bewertungen von Wohnimmobilien bereits vor der Krise erhöht gewesen seien, teilte die EZB mit. »Die Häusermärkte in der Eurozone sind schnell gewachsen, wobei es wenige Anzeichen dafür gibt, dass es in Reaktion darauf zu einer Straffung der Kreditvergabestandards gekommen wäre«, so de Guindos.

Fonds und Versicherer wieder risikobereiter

Die Notenbank verweist darauf, dass im zweiten Quartal die Häuserpreise im Euroraum so rapide gestiegen seien wie seit dem Jahr 2005 nicht mehr. Zugleich habe sich sogar eine Lockerung der Vergabestandards für Hypothekendarlehen abgezeichnet. Der starke Anstieg der Häuserpreise von rund sieben Prozent bleibe »ein Grund zur Sorge«, warnte die EZB. Die Banken in der Eurozone erwarten im Herbstquartal allerdings leicht verschärfte Vergabestandards für Firmenkredite, wie aus der jüngsten EZB-Umfrage unter 146 Finanzinstituten hervorgeht.

Hinzu kommt: Nach Einschätzung der EZB hat auch das Risiko von Preiskorrekturen auf einigen Immobilien- und Finanzmärkten zugenommen. Die Währungshüter erkennen eine höhere Risikobereitschaft bei Nichtbanken wie Investmentfonds, Versicherern und Pensionsfonds: Diese hätten ihr Engagement in Unternehmensanleihen mit niedrigerem Rating weiter erhöht und könnten erhebliche Kreditverluste erleiden, wenn sich die Bedingungen im Unternehmenssektor verschlechtern sollten, warnten die Währungshüter.

Mit Blick auf die gesamte Wirtschaft sieht die Notenbank nun ein deutlich geringeres Risiko als vor sechs Monaten, dass es in größerem Umfang zu Firmenpleiten kommt oder Banken in die roten Zahlen geraten. »Aber die von der Pandemie ausgehenden Risiken sind nicht komplett verschwunden«, sagte De Guindos. Die Notenbank räumte zugleich ein, dass sich die negativen Effekte der Niedrigzinspolitik für die Geldhäuser »mit der Zeit verschlimmern« könnten.

Aus der Bankenbranche waren zuletzt verstärkt Stimmen zu hören, die Zentralbanken sollten angesichts des starken Preisauftriebs die Abkehr von ihrer ultralockeren Linie einleiten. Firmen im Euroraum hätten mit der Wirtschaftserholung im ersten Halbjahr vielfach wieder Gewinne eingefahren, teilte die Notenbank mit. Auch deswegen sei das Niveau der Insolvenzen unter dem Niveau von vor der Krise geblieben.

Allerdings sei es in den von der Pandemie besonders betroffenen Bereichen vermehrt zu Pleiten gekommen. Und deren Zahl könne noch weiter steigen. Auch die Lieferkettenprobleme und der jüngste Anstieg der Energiepreise könnten eine Herausforderung für die Wirtschaftserholung und den Inflationsausblick bedeuten, so das Fazit.

Quelle: SPIEGEL Wirtschaft