Do, 21.07.2022
„Das ist keine Delle, sondern die Vollbremsung einer ganzen Branche“

Wende auf dem deutschen Immobilienmarkt: Immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass die Zeit des Baubooms zu Ende geht. Laut Immobilienverband stellen Unternehmen geplante Projekte zurück oder hätten sie bereits ganz aufgegeben.

Angesichts steigender Zinsen und höherer Kosten warnt die Immobilienbranche vor einem Ende des Baubooms. Der Wohnungsneubau breche massiv ein, teilte der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) am Mittwoch zu einer Umfrage unter seinen rund 1600 Mitgliedern mit. Die meisten Unternehmen stellten ihre geplanten Projekte zurück oder hätten sie bereits ganz aufgegeben. „Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche“, erklärte BFW-Präsident Dirk Salewski, und er ergänzte: „In der aktuellen Situation ist Neubau ohnehin nicht mehr kalkulierbar wegen steigender Bauzinsen, explodierender Baukosten und gestörter Lieferketten.“

Für die nahe Zukunft sei ein Einbruch bei den Neubau-Projekten absehbar. Rund 70 der befragten Firmen gebe an, sie würden die Hälfte der geplanten Vorhaben im aktuellen Umfeld nicht mehr umsetzen. Hochgerechnet bedeute das einen Rückgang zwischen 50.000 und 75.000 neuen Wohnungen. „Die Ziele der Bundesregierung von 400.000 Neubauwohnungen werden so nicht ansatzweise zu erreichen sein“, warnte Salewski. Zuletzt war auch die Zahl der Baugenehmigungen gesunken.

Kaufpreise für Wohnungen steigen langsamer

Die BFW-Mitgliedsunternehmen stehen dem Verband zufolge für 50 Prozent des Wohnungs- und 30 Prozent des Gewerbeneubaus. „Wir brauchen jetzt verlässliche Förderbedingungen, wirtschaftliche und realistische Neubau-Anforderungen und vor allem mehr Bauland“, sagte Salewski. Alle Regeln müssten genau unter die Lupe genommen und zusätzliche Kostentreiber ausgesetzt oder abgeschafft werden. Das neue Fördersiegel für nachhaltige Gebäude QNG sei völlig unattraktiv und wirkungslos. „Wenn wir nicht bauen können, weil es zu teuer, zu kompliziert oder einfach unrentabel ist, wird uns die Wohnungsnot noch lange begleiten“, mahnte der BFW-Präsident.

Der jahrelange Boom am deutschen Wohnungsmarkt hat sich laut einer Studie im ersten Halbjahr derweil abgekühlt. Die angebotenen Kaufpreise für Eigentumswohnungen stiegen nach einer Analyse des Großmaklers Jones Lang LaSalle (JLL) in den acht größten deutschen Städten im Schnitt um 7,5 Prozent zum Vorjahr.
Der Anstieg habe sich damit gegenüber dem Vorjahr halbiert, hieß es in der am Mittwoch veröffentlichten Analyse. Auch der Fünfjahresschnitt von plus 9,3 Prozent wurde demnach klar unterschritten. Berechnet man die Inflation von zuletzt 7,6 Prozent in Deutschland mit ein, sind Eigentumswohnungen heute real sogar leicht günstiger zu haben als vor einem Jahr.

Noch deutlicher als in den großen Städten hat der Preisanstieg in den kreisfreien Städten insgesamt nachgelassen. Dort lag das Plus demnach im ersten Halbjahr bei 6 Prozent – nach 14,4 Prozent im Vorjahr und 10,4 Prozent im Mittel der letzten fünf Jahre.

Auf dem Land bleibt der Preisanstieg gleich

In den Landkreisen, außerhalb der Städte, stiegen die Preise für Eigentumswohnungen mit 9,4 Prozent hingegen ähnlich wie in den Vorjahren. „Insbesondere die seit dem vierten Quartal 2021 deutlich gestiegenen Finanzierungszinsen sind ursächlich für die Zurückhaltung der Wohnungskäufer und der damit verbundenen Abschwächung der Kaufpreissteigerungen“, erläuterte JLL-Experte Sebastian Grimm.

Der Analyse liegen nur Angebotspreise zugrunde, keine Abschlüsse. Dennoch deutet die Studie, die sich bei den Metropolen auf jeweils Tausende Inserate stützt, auf einen Abwärtstrend am Wohnungsmarkt hin. Eine Abschwächung des Booms haben Analysen mehrerer Immobilienportale gezeigt. So brach die Nachfrage nach Kauf-Immobilien im zweiten Quartal binnen Jahresfrist um 36 Prozent ein, wie Daten von Immoscout 24 zeigten. Und Immowelt berichtete von stagnierenden oder leicht sinkenden Angebotspreisen in 7 der 14 größten Städte.

Bauzinsen haben sich verdreifacht

Die Bauzinsen haben sich in den vergangenen Monaten mehr als verdreifacht und sind bei zehnjährigen Finanzierungen über die Marke von drei Prozent gestiegen. Die Zinswende werde den Preisanstieg am Wohnungsmarkt „spürbar verlangsamen“, glauben auch Experten der Landesbank Helaba. Umstritten unter Fachleuten ist aber, ob es nur zu einer Stagnation kommt oder zu deutlich fallenden Immobilienpreisen.

Offizielle Immobilienpreisdaten des Statistischen Bundesamts im ersten Halbjahr liegen noch nicht vor. Im ersten Quartal waren die Preise zum vierten Quartal 2021 kaum noch geklettert (plus 0,8 Prozent). Zum Vorjahresquartal stand ein Plus von 12 Prozent.

Differenzierter fällt laut der Studie von JLL die Entwicklung der Mieten im ersten Halbjahr aus. In den acht Metropolen lag das Plus mit 3,7 Prozent unter dem Fünfjahresschnitt (4,3 Prozent), aber über dem Vorjahreswert (2,4 Prozent). In den kreisfreien Städten kletterten die Angebotsmieten um 3,3 Prozent – vor einem Jahr betrug der Anstieg 8,2 Prozent und im Fünfjahres-Schnitt 5,2 Prozent. Kaum Veränderung gab es bei den Angebotsmieten in den Landkreisen.

„Der Trend steigender Mietpreise in den Städten außerhalb der Metropolen hat sich abgeschwächt. Dafür ziehen die Mieten im direkten Umland der Großstädte nach wie vor stärker an als in den Städten selbst“, sagte Grimm. Das sei auf Ausweichbewegungen zurückzuführen.

Quelle: Frankfurter Allgemeine